Quartier am Humboldthain – ein grünes Gewerbegebiet?

Am 16.10.2024 hatte das Bezirksamt Mitte in den Tanzsaal der Wiesenburg geladen, um den Planungsstand im Bebauungsverfahren „Quartier am Humboldthain“ (QaH) vorzustellen. Gekommen waren Bezirksstadtrat Ephraim Gothe und Mitarbeiter der beteiligten Stellen im Bezirksamt, der Architekt Dipl. Ing. Lutz Keßels von der „Quartier am Humboldthain GmbH“ sowie der Immobilienentwickler Dr. Markus Vogel. Organisiert wurde die Veranstaltung vom Büro für Bürger*innenbeteiligung Mitte. Zustande kam das Treffen auf Initiative des Brunnenviertel e.V. Es reiht sich ein in die Bemühungen des Bezirksamtes, den Prozess um das neue Quartier öffentlich zu gestalten. Inwieweit es sich dabei tatsächlich um eine wirksame Bürger*innenbeteiligung handelt, war auf der Veranstaltung umstritten.

Reines Gewerbegebiet geplant

Zur Ausgangslage: Auf dem Gelände an der Gustav-Meyer-Allee steht zur Zeit noch, umsäumt von Parkplätzen , die ehemalige Produktionsstätte des Computerherstellers Nixdorf. Das Gebäude, das bis vor Kurzem noch von der Sparkasse genutzt wurde, soll abgerissen werden, die umliegende Fläche entsiegelt und neu bebaut werden. Entstehen soll dort ein reines Gewerbegebiet, das allerdings öffentlich zugänglich sein soll und vor allem ökologische Ausgleichsflächen beinhalten wird. Es sollen, so die Mitarbeiter der zuständigen Bezirksamtsstellen, ein Park mit Regenrückhaltebecken, 100 neue Bäume, eine Ausgleichsfläche für eine Trockenwiese und Dachbegrünungen geben, die Regenwasser speichern können. Die Planungen erhielten kürzlich die „Platinvorzertifizierung der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen“.

Bebauungsplan als Rahmen

Bauen wird dort allerdings nicht die öffentliche Hand selbst. Das Münchner Immobilienunternehmen Coros entwickelt die Fläche und vermittelt die zu bebauenden Grundstücke an Investoren. Das Bezirksamt legt im Bebauungsplan lediglich den Rahmen fest: „Der Bebauungsplan regelt, was geht, aber nicht, was konkret kommt“, so ein Mitarbeiter des BA in der Wiesenburg.

Das Ganze soll in vier Schritten realisiert werden: Gestartet wurde mit einem Werkstattverfahren, in dem u.a. Dialogrunden mit Bürger*innen stattfanden. Die Ergebnisse flossen in einen städtebaulichen Wettbewerb ein, aus dem das dänische Planungsbüro Cobe als Sieger hervorgegangen ist. Aktuell läuft das Bebauungsplanverfahren, das laut BA Ende 2025 abgeschlossen sein wird. Danach folgt die Realisierung des Vorhabens.

Brunnenstraße als Zentrum stärken

Vor der Veranstaltung in der Wiesenburg hatte die Arbeitsgemeinschaft „Quartier am Humboldthain“ des Beteiligungsbeirates Mitte einen Fragenkatalog aufgestellt, der acht kritische Themen beinhaltete: Nahversorgung, Schwammstadt, Abrisskonzept, Konzept Voltarium, die Verschattungsfrage der Kirche, die sozialen Auswirkungen und der Beteiligungsprozess.

Was die Nahversorgung betrifft, verwies Gothe auf das Ziel des Bezirksamtes, die benachbarte Brunnenstraße als Einzelhandelszentrum zu erhalten und zu stärken. Eine Konkurrenz aus dem QaH heraus soll es deshalb nicht geben. Entsprechend begrenzt seien die Flächen, die für den Einzelhandel vorgesehen sind.

In Sachen Schwammstadt beschrieben alle Beteiligten den Modell- bzw. Vorbildcharakter des geplanten Quartiers: Es soll so wenig versiegelte Flächen wie möglich geben, ein Regenrückhaltebecken, Retentionsflächen auf den Dächern. Ziel sei, so Gothe, dass das Regenwasser auf dem Grundstück verbleibe oder versickere, aber nicht wie bisher in die Kanalisation abgeleitet werden müsse.

Im Hinblick auf den bevorstehenden Abriss äußerte eine Zuschauerin Bedenken, dass dieser ähnlich viel belastenden Staub verursachen könnte, wie die Arbeiten auf dem Gelände des geplanten Voltariums in der Voltastraße. Dies könne man verhindern, so die Planer, wenn man fachgerecht vorgehe. Spannend wurde es bei der Frage, ob der Abriss überhaupt ökologisch sinnvoll sei. Gothe verwies auf die katastrophale Energiebilanz des jetzigen Gebäudes, das enorme Heiz- und Kühlungskosten verursachen würde: „Das Gebäude verbraucht umgerechnet doppelt soviel Energie wie ein ungedämmter Charlottenburger Altbau“, so Gothe. Ob und wie viel Abrissmaterialien wiederverwendet werden können, sei zwar noch unklar, aber erklärtes Ziel, ergänzte ein BA Mitarbeiter.

Ökologische Vorgaben als Chance

Die umfassenden ökologischen und verkehrstechnischen Vorgaben des Bezirksamtes seien zunächst als Belastung, später als Zukunftschance wahrgenommen worden, so Immobilienentwickler Vogel. In Zukunft würden immer mehr Firmen CO2-optimierte Standorte suchen, um ihre Klimabilanz verbessern zu können. Das QaH biete dafür die nötigen Voraussetzungen.

Dazu gehöre auch, dass das Areal sich in den Stadtraum einfügen werde. Das heißt, die Fläche wird im Gegensatz zu anderen Gewerbestandorten immer zugänglich sein und Durchwegungen aufweisen, die von allen genutzt werden können. Zudem hätten die dort Beschäftigten Erholungsflächen direkt vor der Tür, so Gothe. Ob und wie ein guter Übergang zum benachbarten Humboldthain gefunden wird, ist noch unklar und liegt momentan (noch) nicht in der Hand des Bezirksamtes, da für die Gustav-Meyer-Allee bislang der Senat zuständig ist.

Bezüglich einer drohenden Verschattung der denkmalgeschützten Kirche im Humboldthain versicherten die Planer, dass in den Simulationen keine nennenswerte Beeinträchtigung zu erwarten sei.

Problematischer ist hingegen die Einordnung in die sozialräumlichen Bedürfnisse. Ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, statt eines Gewerbegebietes auf dem Gelände Wohnungen zu errichten, wollte ein Zuschauer von Gothe wissen. Die Menschen, so der Stadtrat, müssten ja auch irgendwo arbeiten können. Mit einer Verdrängung rechne er nicht. Gleichwohl unternehme der Bezirk viel, um den Wohnungsbau zu fördern.

Wünsche der Bürger*innen berücksichtigt?

Kritische Nachfragen gab es auch beim letzten Thema, den Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger*innen. Man sehe kaum etwas von dem, was während des Werkstattverfahrens gesammelt worden sei, so ein Zuschauer. Immobilienentwickler Vogel entgegnete, dass sehr wohl viele der Vorgaben auf die Wünsche der Bürger*innen zurückzuführen seien, darunter die öffentliche Zugänglichkeit und die ökologischen Aspekte.

Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet und kann auf dem Youtube-Kanal des Bezirksamtes angesehen werden.

M. Hühn, 2024