“Mein Ziel ist es, Irritationen zu schaffen”
Luisa Ortiz leitet das Projekt “Geschlechterreflektierte Jungen*Arbeit am Olof-Palme-Zentrum”. Luisa hat an der Alice Salomon Hochschule Sozialarbeit studiert und danach im Rahmen eines Pädagogik Kollektivs in Kinderfreizeit-Projekten gearbeitet. Das Projekt ist am Stadtteilzentrum Olof-Palme-Zentrum (OPZ) angesiedelt und ist Teil der Stadtteilarbeit mit Jugendlichen im Brunnenviertel. Es wird bis Ende 2026 aus dem Projektfonds des Quartiersmanagements, d.h. dem Programm Sozialer Zusammenhalt, finanziert.
Luisa, um was geht es genau in dem Projekt?
Wir verfolgen drei Ziele: 1. Wir wollen alternative Männlichkeiten, d.h. andere Bilder von Männlichkeit, fördern, 2. Gewalt und Diskriminierungen begrenzen und 3. Männlichkeitsanforderungen entlasten. Grundsätzlich geht es darum, die Entwicklungsmöglichkeiten der Jungen zu pluralisieren. Das heißt, den Jungs zu vermitteln, dass man als Mann nicht nur so oder so sein muss, sondern dass man auch queer, weich, verletzlich sein darf. Die klassischen Männlichkeitsanforderungen sind ja stark, souverän, dominant. Dabei möchte ich auch einen Fokus auf Intersektionalität, also auch auf die Verschränkung von Rassismuserfahrungen und Männlichkeitsanforderungen setzen.
Sind von Rollenzuteilungen nicht Mädchen und Jungs gleichermaßen betroffen? Müsstet ihr da nicht mit beiden Gruppen arbeiten?
Es gibt am OPZ einen reinen Mädchen*tag in der Woche, um den Mädchen* einen space zu geben, sich ohne die ständige Abwertung zu entfalten. Denn die Jungs werten alles ab, was weiblich oder homosexuell, also vermeintlich nicht männlich ist. Wer andere abwertet, beweist dadurch, dass er ein guter, echter Mann werden wird. Wir wollen eine andere Männlichkeit aufzeigen, die sensibel, fürsorglich und emotional sein darf und Vielfalt toleriert. Wenn ich merke, dass jemand heulen muss, dann versuche ich, ihn aus der Gruppe heraus zu ziehen und ihm in einem geschützten Ort die Möglichkeit zu geben, dort seinen Gefühlen Raum zu geben.
Aber klar, wir arbeiten hauptsächlich in gemischten Settings und dabei geht es natürlich auch viel darum, einfach ein respektvolles Miteinander zu schaffen.
Wie läuft Deine Arbeit praktisch ab?
Wir spielen zum Beispiel oft Tischtennis zusammen. Normalerweise stehen die Jungs unter totalem Druck, zu gewinnen, was sich unter anderem in Abwertungen äußert: “Du bist so schlecht, ich bin der Beste!”. Das ist für die Jungs immens anstrengend und wenn sie verlieren, sind immer die anderen schuld. Ich ändere dann die Regeln beim Tischtennis, weniger Wettbewerb, mehr Team. Ich versuche, selbst ein Vorbild zu sein und zu vermitteln, dass Verlieren auch okay ist. Wenn beispielsweise das Ziel ist, so viele Bälle wie möglich hin und her zu spielen, kommt nachher oft so was wie “Ey, hat voll Spaß gemacht.”
Wir führen auch Gespräche in kleinen Settings, z.B. über Sexualität. Letztens wussten mehrere Jungs nicht, wie man das weibliche Geschlechtsorgan bezeichnet, oder haben überlegt, ob der Penis nach einer Beschneidung größer oder kleiner wird. Diese Minimomente sind dann super für mich, um da reinzugehen und Bildungsarbeit zu machen.
Was haben die Männlichkeitsbilder mit Rassismus zu tun?
Der Rassismus in unserer Gesellschaft ist mitverantwortlich dafür, dass die Jungs in archaische Männlichkeitsbilder gedrückt werden, früh mit Waffen spielen, kämpfen. Die Bilder eines aggressiven, kriminellen Migranten wirken auch auf sie. Bestimmte “weiße” Ideale sind für sie deutlich schwerer zu erreichen, z.B. mit 20 als smarter IT-Unternehmer Erfolg zu haben. Es geht dann alternativ um körperliche Stärke, darum, ein Beschützer zu sein. Häufig erlebe ich, wie schwul sein in diesem Zusammenhang den Weißen zugeordnet wird. Ich suche deshalb Leute einzuladen, die muslimisch und queer sind, um andere Wege aufzuzeigen.
Aber es ist egal, ob du in Steglitz oder hier mit Jungs arbeitest, die Abwertung von schwul sein und anderen Identitätsmerkmalen wie schwarz sein, behindert, oder einfach softer, hat die subjektive Funktion für Jungen, sich selbst darüber als besonders männlich zu konstituieren.
Aber gesellschaftlich ist schwul sein ja mittlerweile akzeptierter als früher…
Ja, aber immer, wenn eine Gesellschaft liberaler wird, gibt es auch einen Backlash, was wir an dem Erfolg von konservativen Geschlechtervorstellungen, wie sie z.B. die AfD vertritt, beobachten können.
Was habt ihr in nächster Zeit vor?
Ich bekomme demnächst noch einen Kollegen, der sich mit Gewaltprävention beschäftigen wird. Wir planen, nach den Sommerferien einen Jungentag am OPZ einzuführen, denn wenn Mädchen dabei sind, steigt der Performance-Druck. Ich hoffe, dass sich dadurch neue Räume für Gespräche ergeben. Mein Ziel ist es, kleine Irritationen zu schaffen, an die sich die Jungs später einmal erinnern werden. Es sind ja auch keine festen Gruppen wie in der Schule, sondern die Jungs kommen und gehen, wann sie wollen. Es ist hier wie sonst auch in der Pädagogik, dass man nur auf einen kleinen Ausschnitt vom Leben trifft, zu Hause und im Block läuft es dann wieder anders.