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22.06.2012

Kiez oder nicht Kiez?

Ist das Brunnenviertel ein Kiez oder nicht? Bei einem Treffen der ehrenamtlichen Redaktion hat sich eine interessante Diskussion darüber entwickelt. Dr. Enrica Dragoni Maier* hat ihre Sicht dazu aufgeschrieben. Die Redaktion hofft, dass die Diskussion weitergeht - auf Facebook, per E-Mail oder im direkten Gespräch.


Plakat vom Kiezfest 2012.

Die Kiezläufer.

Armbänder von der Kiezwerkstatt 2011. Fotos: D. Hensel

Die Frage ob das Brunnenviertel ein Kiez ist oder nicht eindeutig zu beantworten fällt nicht leicht, weil dieser Begriff mehrere Komponenten beinhaltet, deren Gewichtung zum Teil sehr individuell ist. Der Ursprung des Wortes ist diesbezüglich auch nicht sehr hilfreich, weil seine Bedeutung sich im Laufe der Jahrhunderte so verändert hat, dass ein direkter Zusammenhang mit der Entstehung des Begriffes nicht mehr besteht.

 

Der Begriff Kiez tauchte wahrscheinlich schon im 5. Jahrhundert auf; die Kieze waren in der Regel Siedlungen am Rande des Dorfes und bestanden bis zum 10. Jahrhundert. Es waren einfache Behausungen und die Bewohner waren sehr arm. Aus diesem Grund bekam der Kiez den schlechten Ruf als heruntergekommene Wohnstätte, der noch heute in den meisten Städten geblieben ist. Später wurden slawische, mittelalterliche Ansiedlungen in der Nähe einer deutschen Burg am Fluss gebaut. Die Bewohner waren Fischer (und eben das bedeutete in der slawischen Sprache das Wort Kiez). Die germanische Bezeichnung blieb Kietz, die der ursprünglichen Bedeutung Hütte entsprach.

 

Die Bewohner hatten Dienst- und Abgabenpflichten (vor allem Fische, aber auch Getreide) dem Burgherrn gegenüber und wurden von ihm gegen Angreifer geschützt. Auch nach dem Rückzug der slawischen Stämme nach Osten blieb der Begriff im Sinne von "Dorf" erhalten.

In der modernen Zeit verlagerte sich die Verwendung dieses Namens vom Land in die Großstadt vor allem in Norddeutschland und nahm eine vorwiegend abschätzige Bedeutung an. In Hamburg wurde mit Kiez das Rotlichtmilieu in Sankt Pauli und vor allem die Reeperbahn bezeichnet; es reichte Kiez zu sagen und jeder wusste was damit gemeint war und dies ist so geblieben; in Hannover dasselbe. In Berlin bekam das Wort im Gegenteil eine andere, eher positive Prägung und damit war ein ganzer Komplex von Eigenschaften gemeint.

Auch in Berlin sind die Kieze historisch gewachsen, die ersten im Spreegebiet entlang der damaligen Berliner Stadtmauer. Auf diesem zirka 130 Hektar großen Gebiet befand sich die Doppelstadt Berlin/Cölln, die zum Ende des Dreißigjährigen Krieges etwa 7.000 Einwohner zählte. 1920 wurden die Städte Berlin, Charlottenburg, Cölln, Köpenick, Schöneberg, Wilmersdorf und Spandau mit ihren Kiezen eingemeindet. Daraus entstand das heutige Groß-Berlin, wie es in der Urkunde bezeichnet wurde.

 

Die Kieze haben nach Ende des 2. Weltkrieges und bedingt durch die Berliner Mauer ihre eigene Identität entwickelt. Besonders der Kreuzberger Kiez entwickelte sich zu einem Multikulti-Kiez in dem 160.000 Menschen aus hundert Nationen leben. Durch den Mauerfall kam wieder Leben in die Berliner Kiez-Szene. Besonders im östlichen Berlin bekamen die Kieze dadurch ein völlig neues Erscheinungsbild. Aber auch die Kieze im westlichen Teil Berlins wurden davon erheblich beeinflusst.

 

Der Begriff ist heutzutage inflationär und er wird auch aus Werbegründen verwendet, vor allem von Maklern, um den Wert von Immobilien zu steigern. Aber, welche Eigenschaften muss ein Kiez besitzen, damit es sich um einen echten und nicht um einen künstlichen handelt? Einige der Aspekte sind einfach zu erkennen und zu benennen. Geografisch handelt es sich um ein kleineres, abgegrenztes und zusammengehörendes Gebiet mit überwiegend alter Bausubstanz (aber auch Neubaugebiete werden so empfunden und bezeichnet), in der Regel unabhängig von administrativer Einteilung, das heißt ein traditionell gewachsenes Stadtviertel. Die Bevölkerung ist heterogen, Alteingesessene und Zugezogene leben in unmittelbarer Nähe und werden von einem unsichtbaren Band zusammengehalten. Damit ein Stadtviertel von den Bewohner als Kiez betrachtet wird, ist ein soziales Bezugssystem unerlässlich. Die Infrastruktur in allen Bereichen muss vorhanden sein, so dass man für die nötigen Dinge des Lebens nicht aus dem Kiez gehen muss und die Anwohner bleiben in ihrem Kiez weitestgehend unter sich.

 

Insbesondere seit der Wiedervereinigung der Stadt hat sich das Bestreben der Differenzierung unter ähnlichen Kiezen entwickelt und daher wurden die kulturelle Ausrichtung und der Lebensstil von großer Bedeutung. In der Zeit nach der Maueröffnung zogen, vor allem Familien, aus der Innenstadt in die Umgebung, so dass viele freigewordene Wohnungen vorhanden waren. Gleichgesinnte konzentrierten sich daher in einer Wohngegend, die dann ein Kiez wurde. Es gab Künstlerkieze, Ökokieze ... Das Element der noch vorhandenen kleinen Fachgeschäfte und Kneipen war weiterhin ein wichtiger Merkmal.

 

Jetzt hat sich die Lage am Wohnungsmarkt erheblich verschlechtert, es ziehen immer mehr Leute nach Berlin, viele Wohnungen werden an Touristen vermietet oder werden von nicht in Berlin Ansässigen gekauft. In den letzten Jahren wurden in Berlin vorwiegend oder fast ausschließlich Luxuswohnungen gebaut, deren Mieten, falls sie vermietet und nicht verkauft werden, für die Durchschnittsbevölkerung nicht bezahlbar sind. Verstärkt findet die sogenannte Gentrifizierung statt. Die alteingesessenen Bewohner werden von den steigenden Mieten gezwungen, weg zu ziehen und, ob das höhere Einkommen der Zugezogenen als gemeinsame Eigenschaft ausreicht, um weiterhin vom Kiez sprechen zu können, ist fraglich.

 

Helfen alle diese Erläuterungen, um fest zu stellen, ob das Brunnenviertel als Kiez verstanden werden kann? Mit der Entstehung des ausgedehnten Neubaugebiets und der fast vollständigen Zerstörung der alten Bausubstanz hat auch der Austausch der Bewohner stattgefunden. Dadurch wurden auch die alten Kieze zerstört; sind neue entstanden? Da ich nicht hier im Viertel wohne, kann ich die Frage nur schwer beantworten; als tägliche Besucherin aber habe ich diesen Eindruck nicht, das heißt, dass ich weder die alten noch die neueren Kriterien, die einen Kiez definieren, erkennen kann.

 

Die Bevölkerung ist ethnisch heterogen, aber, obwohl individuell sicher Kontakte bestehen werden, sieht man auf der Straßen die verschiedenen ethnischen Gruppen nicht zusammen; die Bewohner mit ausländischen Wurzeln bleiben unter sich. Die Infrastruktur mit vielen kleinen Läden und Kneipen ist mir auch nicht aufgefallen; wie ich höre, kaufen die Meisten im Gesundbrunnen Center ein. Gemeinsame Interessen sind auf den ersten Blick auch nicht auszumachen. Die vielen sozialen Einrichtungen organisieren eine große Anzahl von Aktivitäten, um gute Nachbarschaftsverhältnisse zu initiieren und diese Veranstaltungen werden auch frequentiert, aber ich habe den Eindruck, dass sie kaum ohne Aufforderung stattfinden würden. Daher würde ich daraus schließen, dass man nicht von einem Kiez sprechen kann.

 

Allerdings wird der Begriff seit den 90er Jahren sehr allgemein als Synonym für Viertel gebraucht und in diesem Sinn, entleert von der ursprünglichen Bedeutung, als Ausdruck mit berlinischem Kolorit kann man auch vom Kiez sprechen, weil es gut ankommt. Gefragt ist die Meinung der Bewohner, ihre Empfindungen und Beobachtung der verschiedenen Aspekte des Lebens; es könnte durchaus sein, dass die verbindenden Elemente im Verborgenen existieren und sie nicht für diejenigen, die von außerhalb kommen, sichtbar werden. Aber, auch wenn es so wäre, könnte man nicht differenzierte Begriffe, angepasst an den verschiedenen Thematiken, die man besprechen will, statt sinnentleerte Modewörter verwenden?

 

* Dieser Text ist ein Beitrag einer ehrenamtlichen Schreibererin aus dem Brunnenviertel. Die Meinung von ehrenamtlichen Schreibern wie Dr. Enrica Dragoni Maier spiegelt nicht in jedem Fall die Haltung der Redaktion oder des Quartiersmanagements wider.

Dr. Enrica Dragoni Maier
 
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