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10.10.2013

Kinder brauchen Zuwendung

Dr. Michael Hähnel arbeitete 22 Jahre als Lehrer für Deutsch und Geschichte an der Heinrich-Seidel-Grundschule. Er ging im April in den Ruhestand. Ehrenamtlich betreut er weiter die Schülerzeitung und ist Vorsitzender des Fördervereins der Schule. Regina Friedrich sprach mit ihm für die aktuelle Ausgabe des Kiezmagazins "brunnen 1/4" über seine Erfahrungen, über Theorie und Realität des Lehrerberufes und seine Wünsche für die Zukunft.


Dr. Michael Hähnel im Gespräch mit zwei seiner Schüler der Heinrich-Seidel-Grundschule. Foto: Regina Friedrich

Die meisten Jungs wollen immer noch Pilot oder Polizist werden. Warum wurden Sie Lehrer?

Dr. Michael Hähnel: Ganz einfach, ich hielt von meinen eigenen Lehrern so wenig, dass ich es besser und anders machen wollte als sie. Nach dem Abitur an der Abendschule habe ich erst einen Beruf gelernt und dann studiert, Literaturwissenschaft war mein Schwerpunkt. Dann folgten verschiedene Jobs, bis ich dann irgendwann mein zweites Staatsexamen machte, um als Lehrer zu arbeiten.

 

Haben sich Ihre Vorstellungen vom Lehrerberuf erfüllt?

Dr. Michael Hähnel: Nicht ganz, ich wollte den Schülern in erster Linie Wissen beibringen, musste aber doch mehr erzieherische Aufgaben übernehmen, da geriet die Wissensvermittlung manchmal erst an die zweite Stelle.

 

Was hat sich seit damals, Anfang der 1990er, verändert?

Dr. Michael Hähnel: Meine erste Klasse war ganz anders als heute. Von 32 Schülern waren nur drei türkischer und polnischer Herkunft. Alle sprachen sehr gut deutsch. Neun sind zum Gymnasium gegangen und sieben haben auch durchgehalten.

 

Und wie war es mit ihrer letzten Klasse?

Dr. Michael Hähnel: Da hatte ich ein Kind mit deutscher Muttersprache. Ansonsten war es eine ganz normale Klasse. Es gab wenige sehr gute Schüler, zwei habe ich zum Gymnasium geschickt, sie haben bisher durchgehalten und gehen jetzt in die 10. Klasse. Dann folgt ein kleines Mittelfeld und die anderen zeigten eher schlechte schulische Leistungen. Das lag vor allem an den mangelnden Deutschkenntnissen, obwohl diese Kinder alle in Deutschland geboren wurden. Besonders bei denen, die keine Kita besuchten, war der Wortschatz ziemlich gering. Aber selbst Kita-Kinder hatten Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache.

 

Wie zeigte sich das?

Dr. Michael Hähnel: Wenn ich im Unterricht einen Text besprochen habe, musste ich in jedem Satz die Bedeutung einiger Wörter erklären. Um sich selbst verständlich auszudrücken und auch zu begreifen, was der andere meint, muss man mit der Sprache differenzieren, beschreiben, erläutern können. Deshalb gab es schon mal Missverständnisse, weil gar nicht verstanden wurde, was überhaupt gemeint war.

 

Spielte dabei die Herkunft eine Rolle?

Dr. Michael Hähnel: Nicht nur, auch die sozialen Bedingungen. Aber der Knackpunkt ist der Umgang mit Sprache, ganz unabhängig von der Herkunft. In vielen Familien wird nicht mehr richtig miteinander gesprochen, sich nicht mit Worten auseinander gesetzt, nicht hinterfragt, was ist das überhaupt und deshalb ist bei den meisten Kindern auch diese natürliche Neugier auf die Sprache verlorengegangen. Ich habe mich bemüht, darauf einzugehen, aber manchmal musste ich auch Abstriche machen an dem, was ich vermitteln wollte.

 

Also Deutschunterricht light?

Dr. Michael Hähnel: Nein. Jedes Fach ist ja praktisch Deutschunterricht. Man muss den Kindern den Lernstoff vermitteln und erklären, was dieses Wort oder jener Begriff bedeutet. Wie man hört, spreche ich ganz akzentuiert, damit die Kinder die Sprachmelodie und auch die Buchstaben und alle Endungen richtig hören. Das halte ich für wichtig, weil die Kinder wenig Sprachvorbilder haben, zum Beispiel zuhause keine   Nachrichtensendungen auf „Hoch“-Deutsch sehen. Allerdings, ich bin in dritter Generation geborener Berliner und auch ich spreche im Alltag nicht alles so richtig aus, ich sage immer Mülsch statt Milch …

 

Wie können Eltern bei der Sprachvermittlung unterstützt werden?

Dr. Michael Hähnel: Ich habe den Eltern immer empfohlen, sich nicht  einfach zum Hausaufgaben machen hinzusetzen, sondern die Kinder an die Hand zu nehmen und durchs Viertel zu gehen, mit ihnen mal irgendwohin zu fahren und zu erklären: das ist das und das nennt man so und so. Die Kinder brauchen Erfahrungen im Alltag, dazu muss man sich nicht großartig anstrengen. Das ist auch unabhängig von der Muttersprache.

 

Wie war denn die Zusammenarbeit mit den Eltern?

Dr. Michael Hähnel: Teilweise schwierig. Viele Eltern lassen ihre Kinder beispielsweise keine Hausarbeit machen, vor allem die Jungen. Also bin ich mit ihnen in die Schulküche gegangen und habe gefragt: Was ist das? Ein Sieb, ein Quirl, alltägliche Dinge, die aber kaum jemand kannte. Einiges konnte ich auch verändern. Ich habe Hausbesuche gemacht und es gab keine Familie, die mich nicht hereinließ. Sie fühlten sich ernst genommen und waren in der Regel auch sehr dankbar dafür. Allerdings haben nicht alle diese Hilfe angenommen, da waren manchmal die kulturellen Vorbehalte zu groß.

 

Bedeutet das, dass auch die Eltern mehr unterstützt werden müssen?

Dr. Michael Hähnel: Ja, das lief bei uns in der Schule parallel. In Zusammenarbeit mit der Volkshochschule gibt es eine Elternklasse mit rund zwanzig Müttern. Sie kommen ein bis zwei Jahre lang in die Schule, haben vor allem Deutschunterricht und machen Projekte. Sie beteiligen sich auch an Veranstaltungen, zum Beispiel am bundesweiten Vorlesewettbewerb voriges Jahr. Die Mütter haben ein Buch erst in Türkisch und Arabisch und dann in Deutsch vorgelesen, so vermittelten sie den Kindern beide Sprachen. Das war sehr schön und auch ihnen hat es so gut gefallen, dass sie es wieder machen wollen. Die Erfolge zeigen, dass wir da auf dem richtigen Weg sind.

 

Sie haben hier eine große Bibliothek, wird sie von den Kindern genutzt?

Dr. Michael Hähnel: Die Jüngeren lesen noch gerne, das Interesse hält aber nicht bis zum Ende der 6. Klasse, da sind dann andere Dinge wichtiger. Gute Erfahrungen haben wir mit den Lesepaten gemacht, da könnten wir noch mehr gebrauchen. Sie sind ganz wichtig, nicht nur des Lesens wegen, sondern weil sie den Kindern ganz andere Erfahrungen vermitteln als Lehrer, Erzieher und Eltern. Die Kinder gehen da auch ganz anders darauf ein, weil sich jemand Zeit nimmt für sie und da geht es dann oftmals um Dinge, die gar nichts mit Lesen zu tun haben.

 

Was müsste denn noch getan werden, um die Kinder mehr zu fördern?

Dr. Michael Hähnel: Wir brauchen vor allem mehr Sozialarbeiter, eigentlich für jede Klassenstufe einen. Es fehlt im Unterricht oftmals die Zeit, sich mit bestimmten Kindern zu beschäftigen. Auch in der Lehrerausbildung muss sich etwas verändern, da fehlt noch zu sehr die Praxis, um Alltagsprobleme zu erkennen und auch gegenzusteuern.

 

Wenn Sie auf Ihr Berufsleben zurückblicken, gibt es besonders gute oder auch schlechte Erinnerungen?

Dr. Michael Hähnel: Für mich war es immer schön zu erleben, wie unerhört dankbar die Schüler sind, wenn man ihnen zuhört, sich mit ihnen beschäftigt, wenn man versucht, Verständnis für ihre Probleme zu haben. Gelegentlich höre ich von ehemaligen Schülern, dass es ihnen gut geht, dass sie eine Familie und einen Beruf haben. Es gibt auch Schüler, die mir extra ihre Kinder vorstellen. Gerade hatte ich eine Schülerin zu Besuch, die 33 Jahre ist und inzwischen in Kanada lebt und arbeitet. Es gab aber auch einige Kinder, die ich nie vergessen werde, weil man sich besonders um sie kümmern musste.

 

Was werden Sie nun nach Ihrer Pensionierung machen?

Dr. Michael Hähnel: Mein Spezialgebiet ist die deutsche Literatur, damit werde ich mich wieder mehr beschäftigen können. Ich komme auch noch weiter in die Schule, irgendwie werde ich ja doch noch gebraucht und das ist schön. Ich bin dankbar für diese 22 Jahre und ich freue mich auch über die Dankbarkeit der Kinder. Es macht mich stolz, Spuren hinterlassen zu haben, auch bei den Kindern. Mehr kann man nicht erreichen.

Regina Friedrich/QM Ackerstraße
 
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